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Jürgen Flenker (Schriftsteller, Lyriker) zu Regenlicht :

 

Einleuchtende Gedichte

Wir alle kennen jene „magischen Momente“, in denen man innehält, getroffen von der Besonderheit eines Bildes, eines Erlebens. Die Texte in Angelica Seithes Gedichtband „Regenlicht“ sind Versuche, solche Momente in Sprache zu übersetzen und die Magie des Augenblicks mit Hilfe der Lyrik zu bannen. Kann das gelingen?
Nein, denn selbstverständlich ist das Erlebte nicht wiederholbar. Und ja, denn die Bilder, die sie dafür findet, schaffen etwas Neues, das im Leser selbst einen magischen Moment auslösen kann. Es sind Gedichte, die „einleuchten“. Nicht im Sinne eines Schnellverstehens, vielmehr dadurch, dass sie Erlebtes und Beobachtetes neu ins Licht setzten, in ein Licht, das manchmal klar leuchtet, mitunter aber auch surrealistisch funkelt.
 
„Im Dornenbiss der Rosen träumt die Nacht“
 
Angelica Seithe versteht die Kunst der Verknappung. Zwischen den Kapiteln ihres Bandes hat sie jeweils vier Haikus platziert. Das ist kein Zufall. Die Autorin befasst sich seit vielen Jahren mit dieser fernöstlichen Form der Sprachkonzentration. Gerade den Naturgedichten merkt man das an.
 
„Die Sonne strickt/am Maschendraht/Silberne/Rüstung für einen/neuen Tag“
 
Angelica Seithe präsentiert uns keine hermetischen Sprachrätsel, noch glänzen ihre Gedichte durch intellektuellen Anspielungsreichtum. Es sind vielmehr Versuche, der sprachlichen Verwässerung des Erlebens entgegenzuwirken, oder, wie es im Gedicht „Ohne Boden“ heißt: „ ... Ich stopfe/das Loch mit Lyrik“. In vielen Texten des Buches gelingt der Autorin dieses Unterfangen. Und zwar durch ihre mitunter aufs Äußerste verdichteten Bilder, die in ihrer treffenden und zugleich diskreten Metaphorik zu Sinnbildern werden und eben dadurch den magischen Moment im Leser wieder spürbar werden lassen.
 
Jürgen Flenker

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