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Presseecho

Gießener Anzeiger: „Die Natur ist Angelica Seithe Anlass und Folie für die Nachzeichnung seelischer Vorgänge und Befindlichkeiten, für die dünnhäutige Darstellung menschlicher Beziehung.“ (1983)
Zeitungsartikel (1)

Gießener Allgemeine: „Gefühle, Gedanken und Erinnerungen finden in diesen Gedichten nachvollziehbaren Ausdruck oft in Bildern der Natur. Tiefe, melancholische Empfindungen werden in eine metaphernreiche Sprache übertragen, die die grundlegenden Fragen des Lebens stellt, ohne sie zu beantworten. Im Spannungsfeld von Liebe und Abschied findet Angelica Seithe schöne und treffende Bilder, die auch ohne den Intellekt zu verstehen sind, ohne deshalb banal zu sein.“ (1989)
Zeitungsrezension (2)

Peter Merk, Wetzlaer Neue Zeitung: „… Gedichte schreiben ist für Angelica Seithe‚sich loslassen wie ein Ballon’, eine schöne Metapher in dem Bändchen ‚Wenn die Treppen aus den Fenstern steigen’ … Besonders stark fand ich dies Gedicht: ‚VERSCHONT // Das Telefon läuten lassen. / Nicht abnehmen. / Nicht wissen, wer es war. / Nicht wissen, daß du / es nicht warst.’ (1990)

Gießener Anzeiger: „Angelica Seithe kehrt in ihren Gedichten Gefühlslagen nach außen, projiziert Unbewußtes in größter Knappheit und ungeheurer Tiefe. …“ (1992)

Alfred Keil, Wetzlaer Neue Zeitung: „…landet die 46jährige Treffer, um die man sie beneidet: ‚Wohin soll ich gehen, wenn ich gegangen bin?’ ‚Überhaupt ist es immer der andere Bahnsteig, auf dem mein Zug gerade steht.’“  (1992)

Gießener Anzeiger: „Angelica Seithe beim 10. Literaturwettbewerb der ‚GEDOK’ erfolgreich … Preisgekrönt wurde sie für ihr Gedicht ‚Warten’ aus dem 1993 erschienenen Gedichtband ‚Licht bei geschlossenen Augen’ …“  (1997)
Zeitungsnotiz (3)

 



D
r. Antje Telgenbüscher (Schriftstellerin, Lektorin) zu Brombeerhimmel

 

 
„…. Bilder sind … für die Lyrikerin wesentlich. Das Unbewusste ist die Quelle, aus der sie dem Traum verwandte, surreale Bilder schöpft (‚meine Haare wachsen über den Mond’). Doch nimmt sie auch sehr genau, mit allen Sinnen, ihre Umgebung wahr, vor allem die Natur.

Die Gedichte zeugen von einem ausgeprägten Gefühl für den Klang und den Rhythmus von Sprache. Sie erscheinen in drei Gruppen gegliedert: Unter der Titelzeile ‚Und wir erwachen in meinem Kirschbaum’ ist die Verbundenheit mit dem geliebten Menschen, in geistiger und erotischer Nähe, das Thema, ‚Die Handschrift von sprießendem Gras’ bezieht sich auf Naturgedichte, und ‚In meinem eigenen Schatten’ sind Verse überschrieben, in denen, von Melancholie getönt, das Ich im Zentrum steht.

Bilder der Natur werden bei Angelica Seithe oft zu Sinnbildern, die auf Gefühle und seelische Zustände verweisen. Jedoch spricht sie immer indirekt und lässt die Reflexion hinter dem Bild zurücktreten. Ihr Leser kann die sensible Wahrnehmung der Autorin nachvollziehen, ohne dass ihm eine Deutung aufgezwungen wird. Er ist frei, individuelle Entdeckungen zu machen und das auf sich selbst zu beziehen, was ihn berührt.

Nur noch vereinzelt finden sich ironisch zugespitzte Kurzgedichte, in denen sich die Autorin lakonisch von ihrer anderen, der rationalen Seite zeigt (wie zum Thema Liebe: ‚Computerergebnis: / Was man nicht / eingibt / kommt nicht heraus.’). Die Stimmung ihrer Texte ist gelöster, abgeklärter geworden. Ergänzt werden sie durch Zeichnungen der Autorin, die abstrakt sind und doch unmittelbar einleuchtend Themen dieses ansprechenden Lyrikbandes spiegeln: Eros und Natur. Angelica Seithe hat zu ihrem ganz eigenen Stil gefunden.“ (Amazon 2006)

 

 


Alfred Keil (Autor, Redakteur) zu Brombeerhimmel :


„Die Wettenberger Autorin hat ihre Dichtung in den letzten Jahren zu einer Meisterschaft entwickelt, die selten ist. Manchmal / mitten im Frühling treffen mich / Winterworte, stellt sie fest und weist auf die Verletzlichkeit der menschlichen Seele hin. Aber sie benennt ihren festen Standort, indem sie sozusagen in einen Stein meißelt: Ich stehe breitbeinig / in meinem eigenen / Schatten. Den Irrtum kennt Angelica Seithe jedoch auch: Die Zähne zusammen und / immer den richtigen Schritt / angestrengt / in die falsche Richtung“. 




Gabriele Sümer, aus der Rede der Jury zur Verleihung des Nordhessischen Autorenpreises 2009 – (Sonderpreis Lyrik) :


" . . . Ihre Gedichte lassen Raum für die Vorstellungskraft. Trotzdem zielen sie in ihrer Prägnanz und Schlichtheit direkt auf das Herz. Selbst zwischenmenschliche Verletzungen werden bei ihr zu etwas Kostbarem, das sich zwischen den Zeilen offenbart. Je nach Stimmung jagen beim Lesen kalte oder warme Schauer über die Haut. Das erreicht die Autorin durch zarte Bilder, die nachwirken. Lässt sich die Liebe wirklich wie eine Zecke aus dem Herzen ziehen? Was steht unter der Liebeserklärung? – Natürlich, das Kleingedruckte.“

 

 



Johanna L.
zu Über der strömenden Zeit :


Wer einmal Gedichte von Angelica Seithe gelesen hat, wird sich an Bilder erinnern. Auch in ihrem neuen Band "Über der strömenden Zeit" überraschen sie den Leser und leuchten unmittelbar ein, Bilder wie diese: "Meine Gefühle für dich / zugeweht vom Sand" oder "Ein Flügelschlag wie schwere Seide" oder "Ein grüner Löwe liegt der Mai / vor meinem Fenster"... Und wenn die "Frühlingshexe" beschworden wird, eine Person kindlich anmutender und zugleich erotisch gefärbter Phantasie, prägt sich dieses Bild ein: "Die Schenkelschere geöffnet / produziert sie Knospen, die / aufspringen, kleine Geschosse / eines ums andre". Originell! Das vergisst man nicht mehr.
Ein anderes Gedicht ("Allein") spielt aufs Märchen an, das so verfremdet wird: "Rapunzel / kämmt ihr / kurzes Haar". Die Geschichte, die darin steckt, kann der Leser sich ausmalen und weitererzählen; Angelica Seithe deutet nur an. Sie ist eine Meisterin des Aussparens. Kein Wort zu viel! Manches erinnert an östliche Lyrik, wie dieser lakonische Dreizeiler, dessen Silbenzahl einem Haiku entspräche, würde die Pause nach dem Seufzer mitzählen: "Auf dem Teppich ein / Lager aus weißen Laken / Ach - nur der Mond".
Ein einziges Wort, ein Zufallsfund vielleicht, kann den poetischen Prozess auslösen. "Salzrosen" ist solch ein Wort, das der Autorin wohl merk-würdig erschienen ist, weil es so Gegensätzliches in sich vereint. In ihrem Gedicht wird ein Liebesbrief zum Schiff, das auf die Seereise geschickt wird und kentert: "Nun liegt er gestrandet / auf einer Klippe / Erbleicht / Setzt Salzrosen an".
Übrigens geht es bei Angelica Seithe nicht nur ernst und getragen zu. Sie schreibt auch mit knappem Witz oder Galgenhumor zwischen den Zeilen, zum Beispiel so: "Lesen: / Das Kleingedruckte / unter der Liebeserklärung".

Angelica Seithes poetische Logik lässt sich gut nachvollziehen. Deshalb sei dieser Band auch jenen empfohlen, die meinen, mit Lyrik von heute nichts anfangen zu können, weil sie zu schwer verständlich sei. Diese Gedichte sind eine Mischung aus Phantasie und sehr genauer Beobachtung. Sie verdanken ihre Schönheit großer Konzentration auf jedes einzelne Wort, die Sprachmelodie der Verse, ihren Rhythmus. Eigentlich muss man sie laut lesen, um ihnen gerecht zu werden. Ihre Themen? Immer noch und immer wieder: Liebe und Natur. Und wie beides der Zeit unterworfen ist.

(Amazon)

 

 


Andreas Lehmann (Lyriker) zu Über der strömenden Zeit :


Ich mag einfach Ihre Art der Poesie: Das ist immer zugänglich, schließt sich nie ab vor dem Leser, und doch kommt dieser Dreh hinein; ein, zwei Verse, auch hier am Ende des Textes, und schon öffnet sich etwas, gewinnt das Gedicht sozusagen an Raum, stößt ein Fenster auf, durch das man hindurch sieht, ohne sich verloren zu fühlen. Sehr schön!

(aus einem Brief)

 

 

Rüdiger Jung (Haiku-Autor) zu Über der strömenden Zeit :


Es macht Freude, einmal mehr auf eine jener – gar nicht wenigen – Autorinnen zu stoßen, die in deutscher Sprache Lyrik auf höchstem Niveau schreiben. Reisen haben ihre Gedichte geprägt – und ein wacher, mehr noch : hellsichtiger Blick auf die Natur…. Was bleibt, sind Hall und Nachklang von Versen einer Autorin, die nicht nur sprachsensibel, nein, auch zutiefst lebens-weise erscheint.                                

(aus einer Rezension auf lyrikwelt.de)

 

 


Jürgen Flenker (Schriftsteller, Lyriker) zu Regenlicht :

 

Einleuchtende Gedichte

Wir alle kennen jene „magischen Momente“, in denen man innehält, getroffen von der Besonderheit eines Bildes, eines Erlebens. Die Texte in Angelica Seithes Gedichtband „Regenlicht“ sind Versuche, solche Momente in Sprache zu übersetzen und die Magie des Augenblicks mit Hilfe der Lyrik zu bannen. Kann das gelingen?
Nein, denn selbstverständlich ist das Erlebte nicht wiederholbar. Und ja, denn die Bilder, die sie dafür findet, schaffen etwas Neues, das im Leser selbst einen magischen Moment auslösen kann. Es sind Gedichte, die „einleuchten“. Nicht im Sinne eines Schnellverstehens, vielmehr dadurch, dass sie Erlebtes und Beobachtetes neu ins Licht setzten, in ein Licht, das manchmal klar leuchtet, mitunter aber auch surrealistisch funkelt.
 
„Im Dornenbiss der Rosen träumt die Nacht“
 
Angelica Seithe versteht die Kunst der Verknappung. Zwischen den Kapiteln ihres Bandes hat sie jeweils vier Haikus platziert. Das ist kein Zufall. Die Autorin befasst sich seit vielen Jahren mit dieser fernöstlichen Form der Sprachkonzentration. Gerade den Naturgedichten merkt man das an.
 
„Die Sonne strickt/am Maschendraht/Silberne/Rüstung für einen/neuen Tag“
 
Angelica Seithe präsentiert uns keine hermetischen Sprachrätsel, noch glänzen ihre Gedichte durch intellektuellen Anspielungsreichtum. Es sind vielmehr Versuche, der sprachlichen Verwässerung des Erlebens entgegenzuwirken, oder, wie es im Gedicht „Ohne Boden“ heißt: „ ... Ich stopfe/das Loch mit Lyrik“. In vielen Texten des Buches gelingt der Autorin dieses Unterfangen. Und zwar durch ihre mitunter aufs Äußerste verdichteten Bilder, die in ihrer treffenden und zugleich diskreten Metaphorik zu Sinnbildern werden und eben dadurch den magischen Moment im Leser wieder spürbar werden lassen.
 
Jürgen Flenker

(Amazon)


Michael Starke (Schriftsteller, Lyriker) zu Regenlicht : 

 
Zwischen Leben und Tod
„im Herbstwind/ Warten auf Post/ Kein Blatt ist von Dir“

Es sind zuweilen eigentümliche Wege, die dahin führen, mit den Gedichten einer Dichterin oder
eines Dichters Bekanntschaft zu schließen und fast obsessiv zu beginnen, sich für sie im Detail
zu interessieren. In meinem Fall war es ein Wettbewerbsgedicht von Angelica Seithe, das ich las
und mich ertappt und angerührt fühlte und auf seltsame Weise angesprochen, als gäbe es noch
Zeichen und Wunder. Darauf habe ich ihre lieferbaren Bücher bestellt und bin an ihrem 2013
erschienenen Gedichtband „Regenlicht“ hängengeblieben, der Gedichte und Haikus enthält
und zum Poetischsten zählt, was ich seit längerem lesen durfte und nicht nur für mich allein
behalten möchte.
Angelica Seithes Gedichte sind große und kleine Kunstwerke, die auf wundersame Weise die
großen Themen der Dichter „das dunkelrote Leben“ und den Tod, Erfahrungen, „dünnblusig“
und „gehärtet fürs eigene Leben“ wie Trauer, Zorn, Einsamkeit, Sehnen und Hoffen in Sprache
bringen und Poesie um etwas Wesentliches bereichern, Eigenwilligkeit und Authentizität.
Wie sie es versteht, alles Menschliche, Empfindungen und Gefühle, „aufgeplatzt in den Nähten“,
in präzise Beobachtungen und Wahrnehmungen aus der Natur zu übersetzen, ist einmalig und
eine Klasse für sich, mit der sie ihren Dichterschwestern Ingeborg Bachmann und Annette von
Droste-Hülshoff, wie es Sarah Kirsch einmal fragend für sich ausdrückte, durchaus „das Wasser
reichen“ kann, dichte und originelle Sprachbilder, eine unglaubliche Verquickung von Natur und
Sprache, von Botschaften und Jahreszeiten, Liedern und Lebensgefühl, Gedichte wie Gemälde
von Max Ernst, van Gogh, Picasso, Spencer Stanhope oder Caspar David Friedrich, die sie auf
ihre eigene Weise abklopft und interpretiert.
„Doch einer sitzt auf Sand/ mit seinen Wünschen/ hat eine Flasche Mondlicht weit/ ins
Wüstenmeer geworfen.“
Ihre Gedichte sind Angelica Seithes besondere Art der Kommunikation, und da es in der Regel
Naturgedichte sind, wird auch ihr Vehikel, die Sprache, „Stück um Stück“ Natur: „Hier pflückte
ich einmal/ Duft für den Schreibtisch/ nicht an den Zahlen, nicht/ am Buchstabenholz zu/
ersticken“. Oder: „Hautnah an den/ Wurzeln der Worte/ ist das Schweigen größer“.
Alle ihre Gedichte umgibt ein Flair von Melancholie, wahrscheinlich weil es der Natur der
Dichterin entspricht, „hart und spröde wie eingetrocknete Freude“. Aber dieses Flair ist
keineswegs störend, sondern ein besonderer Reiz dieser Gedichte, deren Schönheit anders
nicht zu denken ist: „Ohne Boden// Du bohrst mein Boot an/ Einsamkeit dringt ein/ aus
heiterem See// Der Boden in mir/ leck geschlagen. Ich stopfe/ das Loch mit Lyrik.“
In der Natur sind diese Gedichte beheimatet, auf dem Land, an Seen, dem Meer, aber auch
auf Reisen in die Bretagne, nach Venedig, „Im Flug“.
In ihnen geht es, wie schon erwähnt, um alle großen Themen, auch um „Verwandlung“,
„Zuneigung“, „Gezeiten der Liebe“ oder „Entrücktes Erinnern“: „Bin ein Buch/ aufgeschlagen
von meiner Sehnsucht/ Doch Schnee fiel auf die Seiten/ durchweinte jede Zeile/ alles verwischt“.
Sie haben eine eigene unverwechselbare Melodie, die ohne Interpunktion auskommt, aber
im Gedächtnis „Sonnengefiedert“ hängenbleibt: „Du rufst/ durchs Röhricht// Mir musiziert/
ein Wind in den Ohren/ Das Schilf hört nicht auf/ metallisch zu singen/ Die Wellen rennen/
silbern an Land// Da zieht ein Bussard Kreise/ in den Adern/ wird es ruhig// Das aufgewühlte
Sediment/ sinkt ab/ auf Sand und Grund/ wo Stille ist/ sieht man die Steine/ ruhen“.
Sie sind verkörperte Poesie, „mohnsüchtig“, „eine Prozession von Duft und Farben“.
Sie sind „frisch gepflügtes Leben“, „pelziges Hummelglück“, „dünnwandig wie/ atmender Ton.
Und ich denke, sie gehören zu denjenigen, die bleiben, „Silberne Rüstung/ für einen rauen Tag.“
Für mich sind sie unverzichtbare Gesprächspartner geworden, schön wie „Mohnblumen ohne
Boden gemalt.

                                                                                                                  Michael Starke
(Die Brücke 167, 3/2014 )

 



Dr. Franz Blümer zu Regenlicht :


Angelica Seithe versteht es, mit unverbrauchten Sprachbildern zu fesseln. Sie führt uns in die Natur und nicht selten auch in die eigenen Abgründe, in denen Schauder, aber auch "Lösungen" auf uns warten. Wege tauchen auf, "mit Erinnern ausgelegt". Vielleicht ziehen wir dabei auch "nichts als den Schleier der Sonne ins Boot" – Aspekte einer "neuen Wirklichkeit"? Oder könnten wir uns nicht sogar darüber wundern, sie nicht selbst schon früher "erinnert" oder bemerkt zu haben?
Auch äußerlich ist es ein schönes Bändchen, das gut in der Hand liegt und dessen mehrschichtige kreative Metaphorik zum Kauf einlädt.
 
(Amazin)
 
 
 
Dr. Klaus P. Andrießen (Redakteur der WNZ) zu Regenlicht :


… Damit gewinnt ihr Ausgangsbild erheblich an Schärfe, ohne der Pointe den Wind aus den Segeln zu nehmen. Natürlich sind nicht alle Gedichte in dem 96-seitigen Büchlein so rasch nachzuvollziehen. Weil es aber doch einige sind,  bekommt auch der ungeübte Leser Freude daran, sich mit Seithes anderen, dichter gewebten Gedanken zu beschäftigen.
Und das lohnt sich!

(aus "Die Buch-Kritik. Gedichte“, Wetzlarer Neue Zeitung, Feuilleton 23. Nov.2013)

 
 
 
 
Rolf Birkholz (Lyriker, Redakteur der Zeitschrift Am Erker) zu Regenlicht :


…. Gefühle mit Naturbeob­achtungen zu verbinden, ist die Stärke ihres Bandes Regenlicht. …. Immer wieder gelingen der Autorin zarte Verzah­nungen von Naturbildern und Stimmungen. ...

Am Erker Nr. 67


 
 
 
Rüdiger Jung (Haiku-Autor) zu Regenlicht :


… Die Lektüre …  (zeigt eine) Wahlverwandtschaft zur japanischen Poesie. Denn Konzentration und Prägnanz, Frische und Spontaneität erscheinen als die ureigenen Gaben der Lyrikerin. ... 
Was mich an Angelica Seithes Lyrik so fasziniert, ist der große Reichtum an Leben und – ja ! – an Weisheit. Schmerzliche Erfahrungen bleiben nicht ausgesperrt, sondern werden mit einer bestechenden Genauigkeit von Gefühl, Gedanke und Wort protokolliert
 
(aus einer Rezension auf lyrikwelt.de) 
 
 
 
 
Rüdiger Jung (Haiku-Autor) zu den Haiku in Regenlicht :

Ihrem zweiten Gedichtband „Regenlicht“, der in Prägnanz und Konzentration an den im selben Verlag erschienenen Erstling von 2009, „Über der strömenden Zeit“, anknüpft, hat Angelica Seithe drei Seiten mit jeweils vier Haiku eingestreut

mich
ausfädeln bei dir. Aber
der Faden wird länger und länger.         
                                                               (S.57)
Die ganze Ambivalenz eines Beziehungsgeflechts in Haiku-Form. … Beides, die Natur, aber auch das (Zwischen-) Menschliche, hat Raum in Angelica Seithes Haiku. Da wird Einsamkeit geradezu stofflich und dinglich greifbar:

Garderobenwand
Auf den Schultern der Gästebügel
Staub
                                                              (S. 77)

 
(aus einer Rezension in Sommergras 2016, Nr. 112)
 
 

 

Johanna L. zu Im Schatten der Äpfel. Ausgewählte Gedichte 2016 :

 

Es ist eine Freude, diese Gedichte zu lesen. Kein Wort zu viel! Angelica Seithe schreibt anschaulich und klar, ohne jeden Drang zum (pseudo)intellektuellen Verrätseln. Bewundernswert, wie sie immer wieder Bilder findet, die unmittelbar einleuchten, ohne Klischee zu sein. „Wieder im Fluss sein“, heißt es in dem frühen Gedicht, mit dem die Sammlung beginnt. Die Poetin Angelica Seithe ist im Fluss geblieben, bis heute. Sie sollte viel bekannter sein, als sie ist. Warum nimmt niemand in den „wichtigen“ Medien von ihr Notiz, oder ist mir da etwas entgangen?

(Amazon)

 

 

Literaturfreund zu Im Schatten der Äpfel. Ausgewählte Gedichte 2016 :

 

Wer durch Titel und Buchcover verführt meint, eine Sammlung mit leichten, naturnahen Gedichten in den Händen zu halten, dürfte enttäuscht sein. Wer hingegen Lyrik liebt, die einen fordert, deren Tiefe auszuloten gilt und die vor allem Bilder entstehen lässt und Gefühle wachruft, an die man sich nur noch vage zu erinnern vermag, der wird beglückt sein über diesen Gedichtband. Besonders zu empfehlen all denen, die sich in ihrer Zweisamkeit noch etwas zu sagen haben, und die beim gemeinsamen Lesen und Interpretieren der Gedichte ihre eigenen Empfindungen ausloten wollen.
Ich bin begeistert und dankbar.

(Amazon)

 
 
 
Jürgen Brôcan (Lyriker, Übersetzer, Verleger) zu Im Schatten der Äpfel
 
 
Aus einem Gespür für Lakonie und Prägnanz erschafft Angelica Seithe die intensivsten Stimmungsbilder. Hier ist es ein Schattenriß, dort eine Aussparung, hier eine gemeißelte Zeile, dort ein flüchtiger Pinselstrich, die genauso viel Gesagtes wie Ungesagtes ins Gedicht zu lassen. Auf behutsame, unaufdringliche Weise werden die Naturbobachtungen von menschlichen Empfindungen belebt, bis sie einander wechselseitig bereichern. Abschied und Vergänglichkeit, Freude und Entdeckung sind in Seithes Lyrik zu einer Metaphorik verdichtet, die in berührender Schlichtheit die Bedingungen unserer Existenz bis an die Ränder auslotet. „Im Schatten der Äpfel“ versammelt Gedichte aus über dreißig Jahren — aufgefädelte Zeit, Blütenschnur der Worte. 
 
(Amazon)
 
 

 
Dr. Klaus P. Andrießen (Redakteur der WNZ und mittelhessen.de) zu Im Schatten der Äpfel. Ausgewählte Gedichte 2016 :
 
 
 
 
 

 
Dr. Klaus P. Andrießen (Redakteur der WNZ und mittelhessen.de) zu Im Schatten der Äpfel. Ausgewählte Gedichte 2016 :



"Sätze beweglichen Silbers"
02.09.2016
Von Klaus P. Andriessen

"Sätze beweglichen Silbers"
LYRIK Autorin Seithe im Gespräch
Wettenberg Ein Gedicht schreiben - wie geht das? Jemand, der es wissen muss, ist Angelica Seithe. Die Autorin wohnt in Wettenberg (Kreis Gießen). Sie beschäftigt sich seit ihrer Schulzeit mit Lyrik,  hat mittlerweile sieben Gedichtbände veröffentlicht und viele Preise bekommen.
Gerade ist "Im Schatten der Äpfel" erschienen, eine wunderschöne Sammlung ihrer besten Arbeiten aus vier Jahrzehnten. Gerne war die Psychologin im Ruhestand bereit, dieser Zeitung die Eingangsfrage zu beantworten.
 Erst einmal, so Angelica Seithe, komme es auf eine poetische Idee an: "Ein Schreibeinfall hakt sich fest, vielleicht an einem Kalenderblatt oder einer Szene während einer Autofahrt. Dann habe ich ein Bild, ein Wort oder eine Zeile, womit ich weiterarbeiten kann." Das Verfassen des Gedichtes geschehe dann oft zu einem ganz anderen Zeitpunkt.
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Früher hätte ein Dichter viel stärker als heute die Verslehre beachten müssen, hätte nach einer Fülle von ausgefeilten Regeln Verse zu Strophen und Strophen zum Gedicht zusammengefügt. War er gar so erfolgreich wie Johann Wolfgang von Goethe, dann wurden seine Zeilen später in den Schulen gelesen und mussten auswendig gelernt werden, galten als hohes Bildungsgut.
Viele Bilder stammen aus der Natur, doch eigentlich geht es um Beziehungen und Gefühle
Natürlich beruhte auch Goethes Erfolg darauf, dass er sich keineswegs sklavisch an vorgegebene Regeln hielt. Spätestens seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts haben sich die meisten Autoren aber noch viel stärker von schematischen Reimen und zwingenden poetologischen Vorschriften abgewandt - sie schreiben "freie Verse". "Ich habe zwar in der Schulzeit noch gereimt", erzählt Angelica Seithe, doch habe sie im Nachhinein den Eindruck, sie hätte sich schon zu Beginn ihres Schreibens von den Reimzwängen frei machen sollen. Viel wichtiger als Reime seien der Rhythmus und die musikalische Qualität der Sprache. Beim Schreiben eines Gedichtes stünden diese Eigenschaften ganz im Dienste der Gestaltung des Inhalts, also der ursprünglichen Idee, die zum Ausdruck gebracht werden soll. Seithe: "Ich wende diese Mittel weitgehend unbewusst an. Es ist wie ein rhythmisches Grundmuster, das Wörter und Sätze zusammenfügt."
Warum schreibt Angelica Seithe Gedichte und nicht etwa Romane? "Ich mag keine langen Texte schreiben", sagt die Autorin, "selbst meine kleinen Erzählungen sind sehr kurz.  Es bedeutet mir etwas, den Rhythmus, die Musikalität der Sprache zu verwenden. Und ich habe die Neigung, etwas kurz und prägnant in einem Bild zu sagen."
Die Ideen für Gedichte sind nicht einfach abrufbar, sie stellen sich in bestimmten Stimmungen ein, entstehen plötzlich oder entzünden sich an einem Erlebnis. Für die spätere dichterische Arbeit hat Angelica Seithe eine bevorzugte Zeit, nämlich den frühen Morgen. Und das, obwohl sie sich als Studentin "eindeutig für einen Nachtmenschen" gehalten hatte. Während einige Gedichte "in einem Rutsch" entstehen und vielleicht sogar einfach unterwegs ins Diktiergerät gesprochen werden, brauchen die meisten "richtig viel Arbeit", bis sie vollendet sind. Und ganz abgeschlossen ist das Gedichtschreiben für Angelica Seithe erst, wenn die Werke in schönem Schriftbild in einem Buch stehen. Denn sie möchte "mein Erleben und meine Gefühle kommunizierbar machen und haltbar über die Zeit".
Oft finden sich in den Arbeiten von Angelica Seithe Bilder aus der Natur: In "Fliedermord" etwa ist die Rede von "Blumen im Eis" und "Vogelstimmen im Fliederbaum". Doch der Inhalt auch dieses Gedichts erschöpft sich nicht in der Betrachtung der Natur. Vielmehr geht es um menschliche Gefühle, um Empfindungen in der Beziehung zu anderen Menschen. Die Autorin fühlt sich daher völlig missverstanden, wenn jemand - wie es einmal vor Jahren im germanistischen Seminar an der Uni Gießen geschah - ihre "kleinen Geschöpfe" (Zitat aus "Gedichte") als bloße "Naturlyrik" abqualifiziert. In ihren sprachlichen Bildern verbinden sich innere und äußere Welt, werden Stimmungen, Gefühle und Erkenntnisse weitergegeben, die sonst nicht zu vermitteln wären.  "Ein Bild muss eine Verwurzelung in der Realität haben. Wenn das stimmt und es gleichzeitig noch eine innere Ebene der Gefühle oder der menschlichen Beziehungen hat, dann ist es gelungen."  Die Bilder können dabei durchaus außerhalb der Logik liegen, die Aussage entsteht sogar oft erst aus dem Zusammentreffen gegensätzlicher oder unzusammenhängender Wortbedeutungen. Seithe spricht davon, dass Gedichte einen Teil ihrer Inhalte nicht durch den am Verstand orientierten Sprachgebrauch transportieren, sondern so, wie Gefühle sich mitteilen. "Wenn man sagt ,ich bin traurig', dann teilt sich das Gefühl nicht mit. Das erfordert einen besonderen Rhythmus, Laute und Bilder." Deshalb können Gedichte Menschen tatsächlich berühren.
Häufig werden dazu Metaphern verwendet, über die Angelica Seithe immer wieder nachdenkt. Diese besondere Form des sprachlichen Bildes hat entscheidenden Anteil daran, ob ein Gedicht gut ist - oder nicht über den belächelten Eintrag im Poesie-Album hinauskommt. Gute Metaphern entstehen nach der Erfahrung der Autorin, wenn sie auf einem starken, intensiven Gefühl beruhen. Dann verbinde sich in ihnen ein Bild mit einer eher gefühlten als verstandenen Bedeutung. Ein schönes Beispiel dafür findet sich in Seithes Gedicht "Fischer". Darin lässt sie eine Ähnlichkeit entstehen zwischen Fischern und Dichtern. Während erstere auf viele silberne Fischleiber in ihren Netzen hoffen, sind die Dichter auf "Sätze beweglichen Silbers" aus.
Es kommt beim Schreiben durchaus vor, dass ein Gedicht seiner Schöpferin eine neue Erkenntnis bringt. So sei es mit "Schwindel" gewesen. Es habe ihre "Verdrängungsschranke" durchbrochen und ihr vermittelt, was in der Situation Sache gewesen sei, aus der heraus sie den Text geschrieben hatte. Sie zitiert: "Nun auf der Höhe vorsichtig balancierend, sehe ich Dein Netz." Bis dahin hätte sie verdrängt, dass sie damals kein Netz hatte, nichts, was sie hätte sichern können, erinnert sich die Psychologin.

BÜCHER UND PREISE
„Im Schatten der Äpfel“ ist das jüngste Buch von Angelica Seithe. Es ist im eof-Verlag erschienen, kostet 17 Euro und hat die ISBN: 978-3-7412385-0-5. Zuletzt im Jahr 2013 „Regenlicht“ (ISBN: 978-3-9815731-2-1, 10 Euro) und der Kurzgeschichtenband „Berührungen“ (ISBN 978-39540702-7-5, 9,90 Euro).
Angelica Seite wurde im Jahr 2009 mit dem Sonderpreis Lyrik des Nordhessischen Autorenpreises ausgezeichnet und errang sowohl 2012 wie 2014 die Jurypreise beim Hildesheimer Lyrik-Wettbewerb. Mehr auf ihrer Homepage: www.angelica-seithe.de. (ka)
 
 
 
http://www.mittelhessen.de/hessen-welt/aus-politik-und-zeitgeschehen_artikel,-Saetze-beweglichen-Silbers-_arid,743420.html 
 

 

Frank Schmitter (Schriftsteller, Lyriker) zu Im Schatten der Äpfel :


… Mir haben die haikus sehr imponiert -, regelrecht aus den Angeln gehoben einzelne Formulierungen wie "Die Mittagsglocken im Tal räumen den Tisch ab", das ist unfassbar konkret und bildstark. Ihr Ton ist sehr gefühlsstark, man möchte sich an die Gedichte anlehnen, sich von ihrer sanften, konstanten Melancholie trösten lassen. Da ist diese Empfindsamkeit, die sozusagen schon das Unerfüllte in sich trägt. Aber auch Mut, Eigensinn und Anvertrauen an die Kraft des Lebens.
Was mir auch sehr gut gefällt: Ihre Lyrik will nicht punkten mit herbeizitierter Dunkelheit und Tiefe. Sie verlässt sich ganz auf die originären Empfindungen und das sehr gekonnte, maßvolle Umsetzen in die Sprache. Das ist meines Erachtens eher selten geworden, weil viele LyrikerInnen glauben, auf den Putz hauen zu müssen. Eine Gefahr würde ich, wenn überhaupt, im Verweilen bei den "großen" Begriffen wie Wald, Sonne, Schnee, Glück . Das macht die Gedichte nahbar, aber manchmal lauert da - wenn ich mir erlauben darf, das zu sagen - die Gefahr, dass sie sich nicht ganz gegen die großen und etwas ausgelaugten Begriffe durchsetzen, ihnen eine neue Bedeutung oder Aspekt geben können.
Dies nur als ersten Eindruck von jemandem, der sehr berührt wurde. …
 
 
(aus einem Brief)
 
 
 
 

 

Rüdiger Jung (Haiku-Autor) zu Im Schatten der Äpfel. Ausgewählte Gedichte, 2016 :
 

Angelica Seithe ist eine „meiner“ Autorinnen. Will sagen : was sie zu Gedicht bekommt, betrifft mich, interessiert mich, geht mich etwas an. Und die ebenso kunstvolle wie unprätentiöse Art, in der sie das Ihre zu sagen vermag, ist eine, von der man sich unversehens wünscht, es könne die eigene sein.

Ihre jüngsten Bände „Über der strömenden Zeit“ und „Regenlicht“ sind mir vertraut. Nun eröffnen mir „Ausgewählte Gedichte“ unter dem Titel „Im Schatten der Äpfel“ einen Querschnitt durch die fünf vorangegangenen Bände. Die Faszination eines solchen Querschnitts hat durchaus auch etwas Trügerisches : die Hoffnung, einen Autorenweg nachvollziehen, ihn sich gleichsam „erklären“ zu können. Als das Frühwerk Paul Celans erschien, war unverkennbar, daß nicht der Schlüssel, sondern allenfalls der Anfang eines hermetischen Werkes, eines erratischen Blocks, gehoben war. Mein Eindruck bei Angelica Seithe – ohne daß ich sie einem Hermetismus zuordnen würde – ist nicht unähnlich. Da scheint jemand gleich zu Beginn über das volle Repertoire sprachlicher und stilistischer Möglichkeiten verfügt zu haben. Die volle Orchestrierung steht schon zu Beginn, um alle Möglichkeiten auszuschöpfen.

Passend zum Titel ist das bildnerische Entree des ausnehmend schönen Bandes, die Reproduktion eines Ausschnitts aus Vincent van Goghs „Blühendem Baumgarten“ von 1889. Die Suche nach Vorbildern Angelica Seithes ist müßig. Nicht,  weil sie nicht ab und an ahnbar würden. Eher, weil da jemand von Beginn an seinen eigenen Weg geht.  Natürlich gibt es Reminiszenzen. Natürlich hat man Ingeborg Bachmanns „Anrufung des Großen Bären“ im Hinterkopf, wenn man Seithes „Erwartung des Großen Bären“ aufschlägt. Aber wie verblüffend eigen ist hier der Zugang :                    (…)

             

Hier      

zieht das Grillenzirpen

die Sterne an

Der Deichselwagen parkt

an meinem First 

 

Verräterisch

flackert mein Windlicht               (S.44)

An anderer Stelle erinnert mich ein geradezu surrealer Humor an die metaphysische Heiterkeit und Tiefgründigkeit eines Jan Skacel:

DER AUSSTEIGER

 

Ein Baum

nimmt Abschied von seinem Wald

Er lässt die Früchte des Jahres

dem Wild 

Stapft hinaus

auf die leuchtende Wiese

 

Wohin

wird ihm der Vogel folgen

wenn er sein Nest

davongehen sieht

 

übers Meer             (S.53)

Wenn eines die Lyrikerin Angelica Seithe in besonderer Weise auszeichnet, dann das sichere Gespür für Ambivalenzen und dafür, sie ins Wort zu bringen :

MORGEN

 

Morgen also komme ich

Morgen also breche ich

hier alles ab

nehme das letzte Brett

trag es ins Feuer und

bin bei dir

 

dem Dach ohne Haus

aber mit

einem Morgen voller Vögel             (S.47)

Das „Morgen“ ist voller Aufbruch und Wagnis, die das „also“ unterstreicht. Aber gerade dieses „also“ birgt ein Fragezeichen in sich, ob das lyrische Ich diesen Weg – bei aller Beherztheit und Bewunderung  - dann auch fassen und gehen wird. Vergessen wir nicht : ein „Morgen“, das zum Heute wird , ist kein „Morgen“ mehr …

SCHWINDEL

 

Ich sah dich tanzen

auf einem Seil

halsbrecherisch

 

Ich glaubte

es dir gleichtun zu müssen

 

Nun aus der Höhe

vorsichtig balancierend

sehe ich

dein Netz              (S.50)

 Vorbild oder Verführer ? Das Gedicht entscheidet es nicht, läßt offen, ob sich der „Schwindel“ der Höhe oder der Täuschung verdankt, läßt offen, ob „dein Netz“ Rettungsanker oder Fangnetz ist.

Unsere Sprache ist bemüht, zu bestimmen, zu verorten, zu definieren. Allenfalls die Lyrik trifft die Schwebe, das Dazwischen :

ERLENAST

 

So halb in die Strömung gehängt

umflutet mich Wasser

bewegt mich der Wind

 

Es ist

weil ich gebrochen bin

und noch am Baum            (S.74)

Dieses lyrische Gespür für Ambivalenz ist es auch, dem gegeben ist, Untiefe und Paradox der Trauerarbeit auszuloten :

NACHRICHT

 

Er war gestorben

 

Sie fand den schwarz geränderten Brief

unter der Weihnachtspost

 

Zweimal ertappte sie sich

bei dem Gedanken ihn anzurufen

um ihn zu fragen

was denn passiert sei            (S.65)

Das Motiv des von Petrus imitierten Seewandels Jesu begegnet in dem ganz anderen Themenfeld  erotischer Dichtung  - gipfelnd in einem ebenso neuen und verblüffenden wie zwingenden Bild :

SEEWEG

 

Seit ich dich habe
geh ich mit nackten
Füßen über den See
 
Du stehst an jedem Ufer
die Hände

lächelnd in den Taschen

als wäre der See ein kleiner
mit Wellen gepflasterter
Platz              (S.72)

„Du stehst am Ufer“ hat als Ausdruck übermenschlicher, gleichsam märchenhafter Souveränität auch noch etwas von Hase und Igel !

Die Liebesgedichte Angelica Seithes empfinde ich gerade da als sehr stark, wo das Gegenüber abwesend ist und ersehnt wird. Gerade da hat die Lyrik ihr eigenes Recht und ihre eigenen geradezu beschwörenden Möglichkeiten. Das hat etwas von einem Zauber, der seiner Wirkung nie gewiss sein kann und gerade daher berührt. In „Ohne Dich“ etwa, wo das Verlassensein durch den geliebten Menschen, seine Abwesenheit, die Sehnsucht nach ihm sich „durch die wunde Luft“ zieht :

(…)

Das alles

zwischen zwei roten Maschen die ich stricke

an einer Mütze für den Winter

Der kommt barfuß            (S.19)

„Wieder allein“ erfährt die Welt ohne den andern  als sinnentleert und vermag die eigene Not nurmehr im Paradoxon zu erfassen :

(…)

Ich tue Dinge, die

nicht mehr getan werden müssen

 

Im schönsten Sommer bin ich

wie unter Wasser getaucht.

 

Taub vor Stille             (S.63)

Das lyrische Stilmittel des Indirekten lotet die Unberechenbarkeit der Umwege aus, die Gefühl und Gedanke nehmen :

VERSCHONT

 

Das Telefon läuten lassen

Nicht abnehmen

Nicht wissen, wer es war  

Nicht wissen, dass du

es nicht warst              (S.32)

 Das zuletzt zitierte Gedicht verweist auf eine Domäne der Lyrikerin Angelica Seithe : das Kurzgedicht, dem in äußerster Verknappung  und Pointierung ein Höchstmaß an Prägnanz und Konzentration  gelingt.

ZÜGE

 

Überhaupt

ist es immer der andere

Bahnsteig

auf dem mein Zug gerade steht             (S.26)

Der Leser denkt an ein Mißgeschick, das – oft genug erlebt – als Verhängnis erfahren wird. Als Verhängnis ? Nicht doch auch als geheimer Wunsch ? Das vermeintliche Ungeschick des Zu-spät-Kommens und Bleibens als vorzeigbarer Hinderungsgrund der ungeliebten Abfahrt ? Vielleicht. Aber immerhin ist es „mein Zug“, der da „am anderen / Bahnsteig“  steht, also wohl doch jener, den es zu nehmen gälte. Es ist die Defizienz letzter Entscheidbarkeiten, die unser Leben prägt. Und die Gedichte Angelica Seithes.

Diese Auswahl aus sieben Bänden (seit 1981) weckt in mir den Wunsch, immer mehr von dieser hervorragenden Lyrik kennenzulernen. Eine Auswahl – auch die bestmögliche – wird immer eine Auswahl bleiben, im gelungenen Falle (wie hier) repräsentativ, aber doch immer auch noch unvollständig. Gerade in den letzten Jahren reüssiert Angelica Seithe als eine der bemerkenswertesten Haiku-Dichterinnen deutscher Sprache – zumindest ein Aspekt, von dem die ansonsten vorbildliche Auswahl kein Zeugnis ablegt. Es mag sich als durchaus interessant erweisen, dem einen oder anderen Gedicht auf dem Weg zum Haiku zu folgen. „Mit Dir zu Abend“   (S.18), ein Gedicht, das, wenn ich recht orientiert bin, dem Erstling von 1981  entnommen sein dürfte, begegnet – deutlich abgespeckt“ – in „Götterspeise & Satansbraten. Gedichte vom Essen und Trinken“ („Das Gedicht“. Band 23. Hrsg. Von Kerstin Hensel und Anton G. Leitner. Bd. 23. Weßling bei München, November 2015. S.44) :

HAIKU

 

mit dir zu Abend –

die Gräten der Forellen

plötzlich Kopf an Kopf

                                                                                          

 

 

 
Aus einem Interview :
 
Gespräch: Timo Brandt redet mit Sigune Schnabel
28.09.2017
 
….
 
Gibt es Lyriker*innen und/oder lyrische Werke, denen du dich in Bezug auf dein Schreiben besonders verbunden fühlst?

Die einfache und schlichte Naturlyrik von Angelica Seithe spricht mich immer wieder an. Sie geht über eine bloße Beschreibung hinaus und erreicht eine Ebene des Alltags, des Zwischenmenschlichen und lässt eine allgemeingültige Erkenntnis über das Leben zu, ohne dabei aufdringlich zu wirken. Weitere Lyriker, die ich gerne lese, sind Hilde Domin und Erich Fried.
….

(fixpoetry.de) 
 
 
  
Rüdiger Jung (Haiku-Autor) zu Berührungen (Kurzgeschichten) :
                                                  

der Kirschblütenzweig

zittert im Teich. Ein Schmetterling

hat ihn berührt. 

So lautet das Haiku der Autorin, das – mit Bezug auf den Buchtitel – auf der Buchrückseite zitiert wird. Dichte und Konzentration kennzeichnen die Lyrikerin Angelica Seithe. Und zeichnen sie auch in der epischen Kurzform aus.

Dem Buchtitel eignet von Anfang an eine große Ambivalenz :

Sie hatten sich nicht berührt, aber es gab einen Moment, wo Angeli sich dessen bewusst wurde, und wo sie wusste, dass es auf keinen Fall geschehen dürfe – sich zu berühren. (S.6)

Nicht um äußere, um innere Berührung geht es, wo das Motiv das nächste Mal begegnet. Da heißt es von jemandem (in bemerkenswerter Steigerung!): Er

war beeindruckt. Berührt sogar. (S.25)

Die vorletzte der sechzehn Kurzgeschichten trägt den Titel „Berührung“ (S.63ff). Und doch bleibt selbige virtuell :

So sehr, dass sie sie einmal in Gedanken – es musste so gekommen sein – mit der Hand berührte, am Arm, an den Schultern … / Das hatte genügt. (S.64)

Reale Berührungen prägen die letzte Kurzgeschichte. „Ein Satyr im Bus“ :

Da merkte Anna, dass jemand ihren Arm berührte, jemand, der direkt neben ihr stand und sich an ihrer Armlehne festhielt. Sie dachte an Zufall. Aber recht bald, als die Berührungen sich wiederholten, kam ihr die Idee, dass es Absicht sein konnte. Sie wollte es wissen. Sie nahm ihren Arm auch dann nicht weg, als deutlich wurde, dass die Kontakte einer geheimen Sprache folgten. (S.66)


Ja, die Berührungen meinen Kontakte. Gelingende und mißlingende, Beziehung und Beziehungslosigkeit. Die Beobachterin Angelica Seithe notiert in ihren Kurzgeschichten das Seltene, Ungewöhnliche :

Der große Junge strahlte auch. Seine Anteilnahme war ohne Neid. (S.28)

Aber auch die Conditio humana : das Errichten einer Sandburg – und ihren Einsturz :

Als wäre zu verhindern, was geschehen würde. Sie sah zu, lächelte ruhig und gebannt. (S.39)

 

„Der Gast“ (S.17f)erwacht zweimal in der Nacht, führt es einmal auf einen „Lustschrei“, einmal auf „Mord“ zurück.

     Er hörte die Uhr ticken. Alles war still.

Am nächsten Morgen die heilsame Ernüchterung – war er doch „Der einzige Gast.“ (S.18)

 

Ein wahres Inbild der Unschuld prägt die  „Kinderhochzeit“ (S.5ff) :

Sie selbst hatte zehnmal Salz genascht, und der Pastor hatte ihr im Beichtstuhl gesagt : „Wenn du so weiter machst, Mädchen, kommst du in den Himmel.“ (S.5)

Das zu gewähren bedarf es weiterhin der Interpretation :

„Für einen Traum kann man nichts“, hatte der Pastor gesagt. (S.7)

 

Der „Ortstermin“ (S.14ff) könnte eine unverfängliche Besichtigung eines Wohnungsangebots oder auch juristischer Natur sein. Aber für den gemeinsam unternommenen Weg von Mutter und Tochter geht es um noch viel mehr und Grundsätzlicheres : „Entscheidung“, „Zu den freien Plätzen hinüber“, „hier ist es schön“, „Hier ist es gut“ (S.15f) bekommen eine ganz andere Klangfarbe, wenn dem Leser klar wird, dass es hier um eine Grabstätte geht !  Aber gerade dies – sich mit dem Tod vertraut zu machen – eröffnet Leben :

Die beiden Frauen gingen langsam zurück. Sie wussten nun den Ort und traten durch das weiße, etwas angerostete Tor hinaus.“ (S.16)

 

„No money aus Tschuk-tschuk“ (S.27 bis 33) ist das Protokoll einer klassischen Ernüchterung, wie sie der Urlaub als Ausnahmesituation in besonderer Weise bereit hält : was Geschenk scheint, ist Geschäft, vermeintliche Liebe ein Schrei nach Anerkennung, das vermeintlich freie Spiel der Kräfte Verstrickung in Abhängigkeit. Was am sozialen Gefälle durchdekliniert wird, macht auch vor der Zweierbeziehung nicht halt.

 

Was immer schwierig sein mag im Verhältnis zweier Verliebter – die „Freundinnen“ (S.10 bis 13) haben es bereits vorweggenommen. Am Anfang die Faszination, die ins Stammeln kommt :

„Jetzt dürfen wir uns etwas wünschen“, sagte Stephanie, einladend. Mara irrte im Kreis ihrer Wünsche umher wie ein blinder Vogel mit langen Beinen … (S.11)

Am Ende der Machtanspruch, an dem die Liebe zerbricht :

„Mara“, sagte Stephanie knapp und von oben. „Mir ist da etwas hingefallen. Heb es mir auf ! (S.12)

 

Der Liebe zweier Menschen droht  wieder und wieder das Kippen in symbiotische Beziehungen :

Er war da, und sie war zu Hause in ihrem Leben, weil es

ihn gab. (S.20)

 

Er widmete seine ganze Zeit ihr und ihren Wünschen. Dabei wünschte sie nur zu tun, was er wollte, und was er wollte, wurde getan. Ihr zuliebe. (S.23)


Dann aber dachte sie an seinen Traum von letzter Nacht : Er flüchtet aus seinem brennenden Haus in das ihre, sucht ihre Nähe. Doch als sie seine Brandwunden versorgen will, stößt er sie von sich. (S.42)


Es kam ihr vor, als hätte sie über Nacht aufgehört, sich selbst zu gehören. (S.51)

 

Sie hätte sein Leben zu leben, nicht das ihre. (S.55)

 

Besonders kunstvoll sind jene Kurzgeschichten, in denen sich zwei komplementäre Erzählstränge wechselseitig durchdringen. „Der Puppenfriedhof“ (S.44 bis 52), aus dem Anneli Puppe Christel ausgräbt und ihr gleichermaßen zur Auferstehung verhilft, korrespondiert der erwachsenen Anna.

     Richard möchte sie durch ein Kind an sich binden – sie selbst, von ihm manipuliert, beginnt nun ihrerseits, mit seinen Erwartungen zu spielen. „Das Vogelkind“ (S.53ff) setzt die doppelte Erzählkonstruktion gleichsam fort, indem es die Sorge um ein halbverwaistes Amseljunges mit dem Beziehungsdilemma Annas zwischen Richard und Sven alternieren läßt.   

Die „Berührungen“ bestechen durch den Blick der Erzählerin auf ihre Figuren. Dieser Blick ist überaus genau, aber gerade nicht schonungslos:

Anna sah der Frau in die Augen. Etwas zu lange. Das tat ihr leid.  (S.41)

 
Da merkte sie, (…) dass sie stumm und ohne Schutzhaut, wie in der Schusslinie seiner Blicke, weiterging. (S.43)   

 

Gerade die beiden abschließenden Kurzgeschichten sind voller Empathie. In „Berührung“ (S.63ff) wird die Begegnung mit einer alten Dame zum Begriff der Gebrechlichkeit :

Sie schaute weg. Es war ihr peinlich, die alte Dame zu lange anzusehen. (S.63)

 

Sie sah nicht auf. Und dennoch schien die Greisin zu wissen, dass sie beobachtet wurde. (S.63)

 

„Ein Satyr im Bus“ (S.66 bis 71), jene Kurzgeschichte, die uns bereits durch das Titelmotiv der „Berührungen“ besonders auffiel, liest sich nicht zuletzt als ein Protokoll intensiver Blicke und deren Erwiderung:

Sie sah kurz hinauf. Ein freundlicher und guter Blick ruhte auf ihr. (S.67)

 

Er fixierte sie unverhohlen mit seinen warmen, freundlichen Augen. (S.68)

 

Und er sah sie so intensiv, so ungeschützt eindringlich an  S.68)

Als die Blicke des „Satyrs“ anderen Frauen gelten, heißt es von Anna :

Das passte ihr nicht. (S.69f)

Nun wird der werbende Blick der ihre :

Sie nahm ihre Brille ab und versuchte, ihn anzuschauen. Das fiel ihr nicht leicht. Sie merkte, wie ungleich das Spiel gewesen war. (S.70)

In einem Augenblick völliger Korrespondenz leuchtet ein fast mystisches Glück auf :

Sie tauschten einen Blick, der sie für einen Moment aus der Entfernung verschmolz … (S.71)

Als Nachklang dazu das „Abendlicht“ :

Die ganze weite, geschwungene Küste, die noch einmal einen Arm voller Sonne um das Meer zu legen schien. (S.71)

 

 
 
 
 
Timo Brandt (Literaturwissenschaftler/Wien, Lyriker) zu der Erzählung „Für seine Träume kann man nichts“ :

Traum-Nummer (Rezension der Zeitschrift Am Erker 71, 2016)

(…)

Ich mag Texte, die in ihrem Grundton etwas Unterschwelliges haben. Beim ersten Lesen geht man hindurch und findet sich nie ganz zurecht, obwohl einem die Erzählung alles an die Hand gibt. Und wenn am Ende der Bogen sich schließt, wiegt man ihn in der Hand, spannt ihn und versucht herauszufinden, worauf er abzielt. „Für seine Träume kann man nichts“ von Angelica Seithe ist so ein Text. Seinen Motiven – Kindheit, Unschuld, Beichte und eine Zwielichtigkeit um all dies – gelingt eine gute Balance.

(…) (Erzählung „Kinderhochzeit“ im Band „Berührungen“)

 (Fixpoetry, 31.08.2016)