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No Money aus Tschuk-Tschuk
(Auszug)


Sie wollte sie gar nicht haben. Der kleine Junge mit den großen Augen hatte sie ihr einfach in die Hand gedrückt. Sie warf einen schnellen Blick darauf. Sie waren bräunlich. Sie kannte schönere, mit violettem, lila und grünlichem Perlmutt von anderen Küsten. Sie habe kein Geld bei sich, sagte sie schnell. Kein kleines, dachte sie. Aber es gelang ihr nicht, die Muscheln zurückzugeben. „No money, no money“, sagte der kleine Junge beschwichtigend und bewegte ein dünnes Händchen waagerecht durch die Luft.
   Es sollte wohl ein Geschenk sein. Und sie sah sich zu einem widerborstigen Danke genötigt. Aber da hatten die beiden Jungen, der kleine und sein sehr viel größerer Freund, das am Meer entlang schlendernde Paar schon in ihr unsichtbares Netz verstrickt. Die Frage „Wo kommt ihr her?“ war zu keck, zu nah, hatte zu lange, freundliche Wimpern, als dass es Richard nicht gereizt hätte, sie in einem Ratespiel zappeln zu lassen. Deutschland, sagten sie, Italien, nein, Frankreich, nein, schließlich half Richard. Er komme aus Tschuk Tschuk. Ob sie wüssten, wo das liege. Aber sie müssten das doch kennen: Tschuk Tschuk, hätten wohl in der Schule nicht aufgepasst, Tschuk Tschuk, das liege südlich von Australien, ob sie wirklich noch nie davon gehört hätten. Das offene Gesicht des Älteren verschloss sich für einen Moment, verunsichert, irritiert. Dann zwinkerte Anna ihm ein Auge zu, sein Gesicht hellte sich auf, und sie sah, dass er begriff. Da hatte es angefangen.
   Sie näherten sich dem Ende des Sandstrandes, wo mächtige Basaltfelsen ins Meer vorstießen, und unter Palmen ein paar strohgedeckte Hütten hockten. Einheimische verkauften hier Batikstoffe, Strandsaris und T Shirts.
   Annas Blick fiel jetzt auf das Hemd des schmächtigen Jungen. Es war verblichen, ehemals blau und verteilte so viele Löcher und zerschlissene Stellen über das dunkelhäutige, schmale Körperchen, dass sie, einer plötzlichen Eingebung folgend, sich zu ihm hinunterbeugte und ihn fragte, ob er ein neues T Shirt haben wolle. Sie wolle ihm eins kaufen, da vorne, für die Muscheln, die er ihr gegeben habe. Er nickte. Sie nahm seine Hand, eine sehr kleine Hand, und sie gingen schneller als bisher, geradewegs auf die Hütte zu. Die anderen, Richard und der ältere Junge, folgten.
   Er sah strahlend aus. Ein neugeborener, kleiner Prinz. In ernster, fast feierlicher Beklommenheit, aber doch bestimmt, hatte er das T Shirt ausgewählt. Es war das weiße mit den bunten Fischen auf der Brust. „Eine angemessene Wahl für den Sohn eines Fischers“, sagte Richard, er sehe wundervoll aus. Und er sah wundervoll aus.
   Der große Junge strahlte auch. Seine Anteilnahme war ohne Neid. Sie werden teilen, sagte Richard später. Spätestens die Eltern machen das T Shirt wieder zu Geld: 100 Rupien, für uns fast nichts, aber für eine Familie, die täglich nur einen Fisch auf den Tisch bringt, wenn es gut geht, und etwas Reis für alle, ein Vermögen. ...
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